Bewegungsdrang - Fallbeispiel
Aus dem nachstehenden Fallbeispiel stellt sich deutlich heraus, wie Bewegungsdrang sich äußert und auf welcher Weise dieses Problem das Leben der Familie des Demenzkranken beeinträchtigt. Bei dem Fall von Herrn P. kann beobachtet werden, mit welchen konkreten Situationen und Problemen die Familie des Patienten Tag für Tag zu kämpfen hat.
Anfangsstadium, leichte Symptome
Herr P. ist 85 Jahre alt und hat eine mittelschwere Demenz. Als seine Frau das „merkwürdige Verhalten“ ihres Mannes zum ersten Mal bemerkte, dachte Frau M. noch nicht, dass das Problem groß sein kann. Der Patient zeigte jedoch auch damals bereits solche Anzeichen, aufgrund deren seine Frau erkannte und spürte, dass ihr Mann nicht mehr der Mensch ist, der bisher war. Er hat sich geändert. Er war oft verwirrt und verhielt sich ungewohnt. Zum Beispiel vernachlässigte er die Körperpflege, manchmal waren seine Worte sinnlos und nicht zum Thema gehörend, seine geliebten Hobbies (Lesen und Kreuzworträtsel) interessierten ihn nicht mehr.
Er verstand die Filme im Fernsehen nicht und wollte das Gerät dauernd ausschalten oder stellte sich vor dem Fernseher und verdeckte den Bildschirm, so sehr haben ihn die Sendungen gestört. Er versuchte alle Familienmitglieder von dem Fernseher wegzuziehen. Er fragte stets den Inhalt des Films nach, weil er nicht verstand, was die Darsteller im Film sagen. Er zappelte unruhig auf der Couch, stand plötzlich auf und lief nervös auf und ab, während die anderen fernsahen. Wenn seine Frau dann fragte, was das Problem sei, kam die ungeduldige, gereizte Antwort: „Gehen wir endlich, komm schon!”
Nachts stand er anfangs nur einige Male auf und lief im Zimmer und in der Wohnung herum. Zu dieser Zeit konnte man ihn noch beruhigen und seine Unruhe lindern, bzw. besänftigen. Er verstand, was ihm gesagt wurde und hörte auch für eine Weile auf rationale Argumente. Man konnte ihn noch oft „auf den Boden“ zurückholen: in die Realität, in die Wirklichkeit.
Sich verschlechternde Symptome
Eines Nachts zerrte er seine Frau aus dem Bett, dass sie „losgehen sollten”. Frau M. rief einen Krankenwagen. Sein Mann wurde in die Psychiatrie eingeliefert. Die Diagnose wurde aufgestellt: Demenz. Innerhalb von einer Woche (während er in der Klinik war) wurde Herr P. psychisch vollständig verkümmert. Innerhalb dieser kurzen Zeit wurde er zu einem Patienten mit mittelschwerer Demenz.
Frau M. starb bald danach und die Betreuung von Herrn P. musste von seiner Tochter und seinem Enkel übernommen werden. Das größte Problem bedeutet der ständige Bewegungsdrang. Es gibt keinen Menschen, der mit diesem Tempo mithalten könnte! Er läuft Tag und Nacht ständig auf und ab, fast ohne anzuhalten und ununterbrochen. Sein Bein bewegt sich oft auch dann, wenn er sich für einige Minuten hinsetzt. Das Schlimmste ist, dass er nachts nicht leise hantiert, sondern an der Klinke zerrt, an den Türen klopft oder bummert und um jeden Preis nach Hause gehen will. Er weckt jeden auf, der schläft und verlangt, dass man ihm die Tür aufmacht und ihn hinausgehen lässt.
Der Bewegungsdrang und die Familie
Er schläft in der Nacht fast nie, nickt nur tagsüber für einige Stunden ein. Er verwechselt Tag und Nacht, die Schlaflosigkeit quält jedoch nicht nur ihn, sondern auch die mit ihm zusammen lebenden Familienmitglieder. Sie können sich nachts nicht ausruhen, müssen jedoch tagsüber arbeiten. Zu wenig Erholung (wenn es für eine längere Zeit besteht) ruiniert komplett das Nervensystem, eliminiert die restliche Geduld, bzw. Ausdauer und tötet den Seelenfrieden und die Harmonie. Es gibt leider bereits die ersten Anzeichen davon…
Was ist die Lösung?
Selbstverständlich hat man es auch mit einer Medikation versucht. Dies hatte zur Folge, dass der Patient noch unsicherer und schwächer wurde, manchmal schien es ihm auch schwindelig zu sein, die ständige Bewegung hörte jedoch nicht auf, er lief auch weiterhin auf und ab, stolperte nun aber öfters. Der Bewegungsdrang verminderte sich nicht, die Chance eines Unfalls wurde jedoch erhöht.
Die Anstalten und Altersheime nehmen Patienten mit einem schweren Bewegungsdrang auch nur schwer auf, da sie die Ordnung, bzw. die Gewohnheiten in der jeweiligen Einrichtung bald durcheinander bringen und die Einwohner stören. Es ist unmöglich, ein solches Personal und so viele Pflegekräfte zu gewähren, die dem Patienten ständig hinterher laufen können.
Der Bewegungsdrang kann vermindert werden. Es kann durch die Änderung der Gewohnheiten, der Tagesordnung und der Lebensweise erreicht werden.